Weltweit häuften sich gestern die Stellungnahmen von Politikern zu dem Blutbad auf dem Makale-Markt in Sarajevo am Samstag. Die Europäische Union (EU) forderte die Aufhebung der Belagerung der Stadt "mit allen Mitteln", notfalls auch mit Luftangriffen. Eine entsprechende Erklärung sollte noch gestern abend veröffentlicht werden, wie der luxemburgische Außenminister Jacques Poos mitteilte. Ein Ultimatum an die Kriegsparteien, wie es die französische Regierung gefordert hatte, werde die Erklärung allerdings nicht enthalten. Letztendlich stehe es der Nato zu, über Gewaltanwendung zu entscheiden. Im übrigen bekräftigte die EU ihre bekannte Haltung, an einer Verhandlungslösung festzuhalten.
Auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel hoffte weiter auf Verhandlungen, während der außenpolitische Sprecher der CDU, Karl Lammers, die UN aufforderte, sich endlich zwischen einem militärischen Handeln und einem Rückzug aus Bosnien zu entscheiden. In Moskau lehnte Außenminister Andrej Kosyrew erneut Luftangriffe auf die Stellungen der bosnischen Serben ab, da dadurch "die Brutalität zunehmen" würde. Er stehe "in ständigem Kontakt" zu US-Außenminister Warren Christopher, um die Lage in Bosnien zu beraten. UN-Generalsekretär Butros Ghali hatte schon am Sonntag seinen bisherigen Widerstand gegen militärische Aktionen aufgegeben. In einem Brief an Nato-Generalsekretär Manfred Wörner forderte Ghali das westliche Bündnis auf, Vorbereitungen für Luftangriffe zu treffen. Einzig der griechische Außenminister Karolos Papoulias warnte erneut vor einem militärischen Eingreifen.
Daß die Aufmerksamkeit der Medien für Sarajevo auch dieses Mal den Blick auf die Lage in anderen Teilen Bosnien-Herzegowinas verstellt, ist ein Wermutstropfen für die Menschen in der Kriegsrepublik. Seitdem in der Nacht zum Montag die Evakuierung der Verwundeten durch die US-Luftwaffe anrollte, tauchten die heftigen Kämpfe in Mostar und um Zenica herum kaum noch in den Nachrichten auf. Auch die Appelle der Deutschen Friedensgesellschaft und anderer Hilfsorganisationen, die gestern die Bundesinnenministerkonferenz aufforderten, den Abschiebestopp für kroatische und serbische Flüchtlinge und Deserteure ein weiteres Mal zu verlängern, fielen neben den Meldungen aus Sarajevo unter den Tisch. Die Duldung für Bürger der beiden ex-jugoslawischen Republiken laufen nach der derzeitigen Regelung am 30. April aus.
Immerhin: Die internationale Gemeinschaft hat sich offenbar entschlossen, den Opfern wirklich zu helfen. Bis Redaktionsschluß waren 19 Überlebende des Massakers im amerikanischen Militärkrankenhaus im pfälzischen Landstuhl eingeliefert worden. Hinzu kommen bisher 59 Familienmitglieder, die in einer Turnhalle in der Nähe des Hospitals untergebracht wurden. Wie der Leiter des Militärkrankenhauses, Oberst David Layland, mitteilte, war für gestern abend die Evakuierung "von weiteren 36 Schwerverletzten und bis zu 70 Leichtverletzten, Familienmitgliedern oder sonstigen Flüchtlingen" mit US- Flugzeugen geplant.