Die Temperatur in Sarajevo war kaum unter den Gefrierpunkt gesunken, als die UN-Luftbrücke zur Versorgung der bosnischen Hauptstadt am Samstag zusammenbrach. Bis gestern morgen konnten wegen vereister Rollbahnen nur zwei Transportmaschinen landen, bis die UN-Bewacher am "Airport" wieder grünes Licht gaben.
Die 380.000 in der Stadt verbliebenen Sarajliji hatten gerade eine Stunde Zeit, sich über die erneute Öffnung ihrer wichtigsten Lebensader zu freuen, da blieb das zum Heizen unabdingbare Gas aus. Erst am Donnerstag hatten sich Vertreter der bosnischen Serben und der bosnischen Regierung darauf geeinigt, die belagerte Stadt wieder mit Gas zu versorgen.
Alte, Kranke, Verwundete und Kinder leiden am schwersten unter der Kälte. Daran konnte auch der UNO-Konvoi nur wenig ändern, dem es am Freitag gelungen war, die Patienten einer Psychiatrischen Klinik in Pazaric mit Lebensmitteln und Decken zu versorgen. Das Krankenhaus, rund zwanzig Kilometer südwestlich der bosnischen Hauptstadt, beherbergt 389 Patienten, die bei Nachttemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt in ungeheizten Räumen schlafen müssen. Nach Aussage des Klinikpersonals sind in der vergangenen Woche fünf Patienten an Unterkühlung und Unterernährung gestorben.
Hilfe für die frierenden Menschen ist derzeit nicht zu erwarten: Schon im Vorfeld der Brüsseler Tagung der Außenminister der Europäischen Union (EU), die sich heute mit verstärkter humanitärer Hilfe für Bosnien befassen wollen, ist die Durchsetzung der Transporte auf dem Landweg unklar. Auch über den Sinn oder Unsinn des deutsch-französischen Friedens-Vorschlages von letzter Woche ist die EU uneinig. Die Kritik an der Initiative der Außenminister Klaus Kinkel und Alain Juppé, die gegen Serbien verhängten Sanktionen schrittweise im Gegenzug zu territorialen Zugeständnissen der bosnischen Serben aufzuheben, spaltet Europa. Der bosnische Regierungschef Haris Silajdzic sprach sich derweil für den Vorschlag aus: Die Kinkel-Juppé-Initiative sei zwar ein "Kompromiß auf Kosten der Gerechtigkeit", aber angesichts der humanitären Lage unumgänglich.
Immerhin haben die Außenminister mehrerer europäischer Länder am Samstag beschlossen, eine eigene Delegation in das ehemalige Jugoslawien zu entsenden, um vor Ort die Möglichkeiten für Friedensbemühungen und für Hilfeleistungen zu sondieren. Der Beschluß wurde bei einer Tagung der Mitteleuropäischen Initiative im ungarischen Debrecen gefaßt, die im November 1989 von Italien, Österreich, Jugoslawien und Ungarn gegründet worden war. Mittlerweile gehören der Initiative auch andere ost- und südosteuropäische Länder an. Die Menschen in Sarajevo, Mostar oder Tuzla können sich dem schwachen Trost hingeben, daß sie ein paar Tage lang nicht alleine frieren.