Während sich auf dem Boden kroatische HVO-Miliz und bosnische Armee beschossen, flogen Maschinen der Nato gestern übungshalber Angriffe auf Ziele um die mittelbosnische Stadt Sarajevo. Schon am Wochenende hatten Jagdflugzeuge, die zur Überwachung des Flugverbotes über der ehemaligen jugoslawischen Republik eingesetzt werden, über Sarajevo geübt. Zeitgleich machte die serbische Artillerie nur wenige Meter unter den Flugzeugen bitteren Ernst.
Der zweite "Konvoi der Freude", ein Hilfstransport moslimischer Privatleute, konnte derweil seinen Weg nach Mittelbosnien fortsetzen. Am Wochenende war die Kolonne aus 87 Fahrzeugen in Pozor von demonstrierenden Kroaten aufgehalten worden. Um ihre Sicherheit zu gewährleisten, sollen die Lkw nun über Bergstraßen umgeleitet werden. Im Juni war der erste "Konvoi der Freude" von kroatischen Milizen überfallen und ausgeraubt worden.
Der französische UN-General Jean Cot drohte derweil der bosnischen Regierung mit "ernsthaften Konsequenzen" nach der vorübergehenden Festnahme mehrerer Blauhelme in der bosnischen Hauptstadt. Am Wochenende waren die UN-Soldaten von bosnischen Freischärlern des Kommandanten Caco mehrere Stunden festgehalten worden. Bei der Freilassung behielten die bosnischen Soldaten deren Waffen und Schützenpanzer ein. Cacos Miliz steht nominell loyal zur bosnischen Regierung, hält sich aber nicht an die Befehle des Armeekommandos in Sarajevo.
Die britische Regierung zeigte sich derweil irritiert über die Kritik von US-Präsident Bill Clinton an der Bosnien-Politik von Europäischer Gemeinschaft und UNO. Clinton hatte in einem Interview mit der Washington Post die Aufrechterhaltung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung kritisiert, da dies den bosnischen Serben einen militärischen Vorteil sichere. Premierminister John Mayor antwortete dann gestern ungewöhnlich scharf auf die amerikanische Kritik an seiner Bosnien-Politik. Im Gegensatz zum US-Präsidenten müsse Großbritannien in Bosnien die Sicherheit seiner dort stationierten UN-Blauhelme im Auge behalten. Die ehemalige britische Premierministerin Magaret Thatcher schloß sich derweil der Clinton-Kritik an. Durch die von der "Jugoslawischen Volksarmee" zurückgelassenen Waffen hätten die Serben ganz klar einen Vorteil.
Die Hilfsorganisation Cap Anamur beschwert sich über die Behinderung ihrer Arbeit durch den Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR in Sarajevo, Tony Land. Dessen enge Auslegung der Vorschriften zum Transport von Hilfsgütern in die Stadt bedrohe die Arbeit des Notlazaretts von Cap Anamur in Sarajevo. Land hatte eine Ladung mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für das Lazarett konfisziert, die vorher laut dem Cap-Anamur-Vorsitzenden Rupert Neudeck "bis in die einzelnen Positionen von Kaffee und Zahnpasta" mit dem UNHCR abgesprochen worden war. Gerade angesichts des nahen Winters sollte sich die Bundesregierung "ein solches Verhalten nicht mehr gefallen lassen", so Neudeck in einem Schreiben an Bundesaußenminister Klaus Kinkel.