Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

In "Korrupt?" beschreibt Mathew D. Rose das Klientelsystem der Bundesrepublik. Bisher hat keiner der Genannten dagegen geklagt | Von Rüdiger Rossig

Das klingt nach Griechenland, Italien oder Serbien: Den Staat beherrschen als Parteien getarnte Konzerne. Alle paar Jahre darf das Volk zwischen Polit-Unternehmern entscheiden, die alle Teil desselben Netzwerks sind. Doch in Mathew D. Roses Buch "Korrupt?" geht es nicht um die EU-Peripherie, sondern um Deutschland selbst. Rose beschreibt, wie deutsche Politiker nach Bedarf zwischen Politik und Wirtschaft wechseln - und dabei sich und ihren Freunden in den Unternehmen Geld zuschustern. Die wirtschaftlichen und politischen Eliten könnten unkontrolliert schalten und walten, da Journalisten, Wissenschaftler und Anwälte mit zum Club gehörten.

Verschwörungstheorie? Nicht unbedingt. "Berlin Investigator" nannte der Spiegel den US-Amerikaner Rose, der 2001 maßgeblich an der Aufdeckung des Berliner Bankenskandals mitgewirkt hat. Für "Korrupt?" hat Rose sich nun wieder durch Aktenberge gewühlt und unzählige Interviews geführt. Teile seiner Recherchen hat der Wahlberliner bereits in der Zeit und im TV-Magazin "Monitor" veröffentlicht. Dass trotz der ungeheuerlichen Behauptungen bisher keine der Personen, die Rose beim Namen nennt, gegen ihn und sein Buch vorgegangen ist, spricht ebenfalls für den Autor.

"Korrupt?" beschreibt, wie sich die deutsche politische Elite Ende der 1990er in einen Wirtschaftszweig verwandelte. Im Angebot: "die Umwandlung von Partikularinteressen in Gesetze" sowie die Kontrolle über staatliche Förderung, Subventionen, Steuerbegünstigungen und Milliarden Euro an öffentlichen Aufträgen pro Jahr.

Die Entlohnung erfolgt laut Rose einmal über die Finanzierung der Parteien. Dabei geht es nicht um die viel diskutierten Spenden, sondern um "Sponsoring". Gestützt auf viele Quellen belegt der Autor, wie sich die Wirtschaft mit großzügigen Zuschüssen zu Parteitagen oder teuren Anzeigen in Parteizeitungen bei der Politik bedankt. Effekt: Die Sponsoring-Einnahmen der Parteien sind seit 1999 um fast 800 Prozent gestiegen.

Auch die Funktion scheinbar privatisierter, tatsächlich aber staatlich kontrollierter Unternehmen wie der Deutschen Bahn wird beleuchtet. Dort findet so mancher Politiker nach Ende seiner Karriere einen lukrativen Job. Hinzu kommt der "Drehtüreffekt" genannte Wechsel von der Politik in die Wirtschaft oder in die akademische Welt sowie die Verquickung von Beraterverträgen und Sponsoring.

Zur Perfektion treibt das laut Rose Friedbert Pflüger (CDU). Dessen "European Centre for Energy and Resource Studies" enttarnt er als industriefinanzierten Kontaktveranstaltungs-Anbieter für Politiker und Lobbyisten, der nicht etwa zum Londoner King's College gehört, sondern dort ein nur zeitweise besetztes Büro mit anderen Untermietern teilt.

CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok ist nebenbei "Senior Vice President Media Developement" beim europaweit aktiven Bertelsmann-Konzern. Norbert Röttgen wollte parallel zu seinem Bundestagssitz Geschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie werden.

SPD-Manager Peer Steinbrück hält lieber hoch dotierte Vorträge, als sich im Parlament blicken zu lassen. Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel unterstützten zeitweise das dubiose Großprojekt einer privaten Energie-Universität in Berlin. Von dem profitiert heute der Besitzer des Schöneberger Gasometers - nicht etwa der Bezirk, dem das Areal eigentlich gehörte.

An der Wiege des serbischen Nationalismus standen Politiker, die sich auf krumme Geschäfte mit Wirtschaftsführern einließen. Genau diese Melange ruinierte den griechischen Staat und mästet die organisierte Kriminalität in Italien. Mathew D. Roses Buch zeigt, dass Europa "beim Geben und Nehmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit" weit einheitlicher ist, als wir denken.

Aber Rose stellt auch Menschen vor, die sich gegen den Klientelismus wehren: Politiker, die offensiv transparent arbeiten, und NGOs, die Auswege und Alternativen anbieten. "Korrupt?" ist kein Grund zur Bitterkeit. Sondern zum Sauerwerden. Woraus die Kraft und der politische Wille wachsen kann, sich die Demokratie zurückzuholen.

"Korrupt?" beschreibt, wie sich die politische Elite Ende der 1990er in einen Wirtschaftszweig verwandelte. Mathew D. Rose: "Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern - und uns verkaufen". Heyne Verlag, München 2011, 317 Seiten, 19,99 Euro

taz, die tageszeitung