Herr Assheuer, wie sind Sie, ein Mittelklassekind aus dem Sauerland, als mutmaßlicher Terrorist auf die Fahndungslisten von Polizei, BKA und Interpol geraten?
Christoph Assheuer: Ich war im Herbst 1973 zum Studieren nach Berlin gegangen und hatte mich dort der Roten Hilfe angeschlossen. Da gab es ganz verschiedene Leute, meist undogmatische Linke und Spontis. Mit bewaffnetem Kampf hatte das nichts zu tun. Aber wir machten Gefangenenarbeit auch für Leute, die wegen politischer Sachen saßen. Dabei bekam man mit, wie brutal der Staat mit denen umging. Man konnte für eine Parole auf einer Autobahnbrücke länger in den Knast gehen. Oder für die Veröffentlichung einer Erklärung der Revolutionären Zellen. Wegen der repressiven Justiz war ich bereit, Leuten, die sich davor schützen wollten, meinen Personalausweis zu geben. Und zwar nach dem Prinzip, je weniger du weißt, desto besser. Das heißt, ich kannte nicht die Person, die dann später ihr Bild in meinen Ausweis geklebt hat.
Sie waren in London, als der Benutzer Ihres Ausweises, Andreas Vogel von der Bewegung 2. Juni, festgenommen wurde. Was ist das für ein Gefühl, wenn man erfährt, dass man gesucht wird?
Es war eine Nachricht, die überhaupt nicht in mein Leben passte. Ich war sehr ernüchtert von der linken Szene in Berlin und hatte eine Theatergruppe gegründet, um was anderes zu machen. Sicherlich hatte ich auch Angst, es waren ja viele Menschen erschossen worden, auf beiden Seiten. Die Frage war, stelle ich mich, sag ich: Die Papiere haben sie mir geklaut, tut mir leid? Aber ich war bekannt in der Szene, hatte viele politische Prozesse besucht, an vielen Demos teilgenommen. Das hätte komisch ausgesehen, sich da zu entschuldigen. Nee, ich dachte, ich steh dazu. Ich wollte zwar in die BRD zurück, bin letztlich aber in England gestrandet.
Wie war Großbritannien damals, Mitte der 1970er?
Es war eine Zeit guter Musik und ungeheuer großer Räume für alternative Projekte. Als Illegaler habe ich mich dort zurückgehalten, habe aber in einigen der tausend besetzten Häusern gewohnt. Später habe ich eher Heil- und Theatergeschichten gemacht, was mir gut getan hat, weil es mich raus gebracht hat aus der engen politischen Sichtweise, die ich kannte. Es gab eine Unmenge kluger therapeutischer und kultureller Ansätze, auch Colleges und Schulen, die sehr innovative Methoden unterrichtet haben, etwa im Bereich von Psychologie, Osteopathie, taditioneller chinesischer Medizin. Hier wurde das oft als Esoterik diffamiert, aber das hatte mit Gurus wie Bhagwan wenig zu tun. Es ging darum, an sich selbst, am eigenen Bewusstsein zu arbeiten und damit nach außen zu gehen.
Sie legen Wert darauf, dass Ihr Roman "Felix' Revolution" keine Autobiografie ist, sondern ein Buch über Ihre Generation. Der Untertitel lautet "Erzählung aus der Vorzeit". Was heißt das?
Atmosphärisch scheint diese Zeit Lichtjahre von heute entfernt. Was oft untergeht in der heutigen Diskussion um "1968" ist, dass wir eine neue und zwangsläufig chaotische Bewegung waren, junge Menschen, die sich nach etwas ganz Anderem sehnten. Heute sehen viele Leute zurück und sagen ganz weise: Ach, was war ich blöd, dogmatisch, linksextrem. Sie sehen nicht, dass das Teil eines Lernprozesses war, dass es extrem schwierig war, sich von der autoritären Nachkriegsgesellschaft abzunabeln. Ideologisch hat sich seitdem unheimlich viel verändert, was schon ein kurzer Blick ins Kursbuch, den roten Schülerkalender oder frühe Ausgaben der taz klarmacht. Dritte Welt, Umwelt- oder Frauenbewegung - das kam mehr und mehr in den Fokus. Und führte dann zu der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz für Dinge wie das Weltsozialforum, Attac oder einen radikalen Menschenrechtsdiskurs, der uns heute ganz normal vorkommt, aber natürlich nicht eingelöst ist.