Unbeeindruckt von der geplanten Wiederaufname der Genfer Friedensverhandlungen setzen die bosnischen Serben ihre Offensive gestern fort. Nach Angaben der UN-Schutztruppen für das ehemalige Jugoslawien (UNPROFOR) war der Artilleriebeschuß auf das seit 15 Monaten belagerte Sarajevo "ungewöhnlich heftig". Bis gestern um 15 Uhr hatten laut BBC World Service über 100 Geschosse in der Stadt eingeschlagen. Bosnische Einheiten feuerten ihrerseits auf serbische Stellungen auf den Bergen um Sarajevo.
In Nordbosnien konzentrierten sich die Kämpfe auf die Städte Brcko und Gradacac in der Sawa- Tiefebene. Radio Sarajevo berichtete, die bosnischen Serben hätten trotz des vom UN-Sicherheitsrat verhängten Flugverbots über der ehemaligen jugoslawischen Republik auch die Luftwaffe eingesetzt. Ziel der Angriffe ist die Schaffung eines Nachschubkorridors zwischen den serbisch besetzten Gebieten Bosniens und der "Serbischen Republik Krajina" in Kroatien. Angesichts der immer schärferen Angriffe bleibt die Teilnahme des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic an den Genfer Verhandlungen weiterhin unsicher. Der bosnische Staatsrat, in dem Izetbegovic nach wie vor über eine Mehrheit verfügt, hatte seine Teilnahme von einer Einstellung der Angriffe abhängig gemacht.
Die Miliz "Kroatischer Verteidigungsrat" (HVO) ordnete angesichts der Kämpfe eine Generalmobilmachung in Nordbosnien an. Während dort das kroatisch-muslimische Bündnis gegen die bosnischen Serben zu halten scheint, eskalieren die Kämpfe zwischen HVO und regulären bosnischen Truppen in der Herzegowina weiter. Laut BBC werden in der Gegend um Mostar nun auch Einheiten der regulären Kroatischen Armee (HV) eingesetzt. Nach kroatischen Angaben stehen keine Soldaten der seit Anfang 1992 international anerkannten exjugoslawischen Republik in Bosnien.
Der Präsident der Republik Kroatien, Franjo Tudjman, nahm die Gefechte zum Anlaß, in der Hauptstadt Zagreb vor einem moslemischen Heiligen Krieg (Dschihad) zu warnen. Der Pariser Zeitung Libération sagte Tudjman, in Mittelbosnien seien bis jetzt 40.000 KroatInnen vertrieben worden, weiteren 100.000 drohe nun die Austreibung. Dies könne zu einer "allgemeinen Konfrontation der islamischen mit der christlichen Welt" führen. Der serbisch- kroatische Plan für die Teilung Bosniens sei "die einzige Lösung" für die seit 15 Monten umkämpfte Republik. Da weder UNO noch USA, noch Europa etwas gegen die serbische Aggression unternommen haben, müsse die internationale Gemeinschaft nun verstehen, daß Kroatien sich selbst um einen Ausgleich mit Serbien bemühe. Zeitgleich begrenzte Kroatien gestern die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge aus den bosnischen Kriegsgebieten. Künftig dürfen nur noch MuslimanInnen nach Kroatien einreisen, die schon jetzt Familienangehörige in anderen Länder haben.
Der Leiter des "Jüdischen Dokumentationszentums" in Wien/ Los Angeles, Simon Wiesenthal, hat nach Angaben kroatischer Zeitungen ehemalige KZ-Häftlinge in aller Welt aufgefordert, sich bei ihren Regierungen für die Rettung Sarajevos einzusetzen.