Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Aus dem Leben eines Kriegstreibers

Eigentlich ist Slobodan Milosevic ein Verlierer. Jedenfalls wenn es nach den Ergebnissen der von ihm angezettelten Kriege geht. Doch Jugoslawiens Präsident herrscht unangefochten - und bereichert sich und seine Familie. Daran ändern auch die Bomben der Nato auf Belgrad nichts | Von Rüdiger Rossig

Seit zwölf Jahren hält sich der heutige jugoslawische Präsident fest an der Macht - obwohl er in dieser Zeit zwei Kriege angezettelt und verloren hat. Den Preis zahlen die Menschen in Ex-Jugoslawien. Serbische Soldaten und Polizisten "säubern" das Kosovo von seinen albanischen Bewohnern, die Nato bombardiert Serbien und Montenegro - und Slobodan Milosevic sitzt fester im Sessel denn je. Dabei ist allen Beteiligten klar, daß er für diese Situation verantwortlich ist. So funktioniert es, seitdem der heute 57jährige Präsident der rumpf-jugoslawischen Föderation Mitte der achtziger Jahre in der politischen Arena auftauchte: Während erst in-, dann auch ausländische Politiker kamen und gingen, die Krisen in Jugoslawien zu Kriegen wurden, Hundertausende Menschen getötet und Millionen vertrieben wurden - Milosevic blieb.

Dabei wurden ihm Macht und Reichtum keineswegs in die Wiege gelegt. Am 29. August 1941 wurde er als Kind eines serbisch-orthodoxen Theologielehrers in Pozarevac bei Belgrad geboren. Die Eltern waren in den vierziger Jahren aus Montenegro nach Serbien gezogen. Jugoslawien war damals im Aufbruch: Nachdem die kommunistische Partisanenarmee die deutschen und italienischen Besatzer besiegt hatte, begannen ihre Führer das bisherige Agarland im Eilverfahren in einen Industriestaat umzuwandeln.

Für Unterschichtskinder wie Milosevic taten sich ungeahnte Möglichkeiten auf: Gefördert durch den Staat konnte der begabte junge Mann in der Hauptstadt Belgrad sozialistische Ökonomie studieren. 1959 trat er der kommunistischen Partei bei und verdiente sich als Sekretär für Ideologiefragen im Universitäts-
Parteikomitee ersten Ruhm. Bald fiel der erfolgreiche junge Genosse Ivan Stambulic auf, dem mächtigen Generaldirektor der staatlichen Firma "Tehnogas". Als der Anfang der Siebziger in die aktive Politik wechselte, bestellte er Milosevic zu seinem Nachfolger.

Der machte seine Sache erneut gut: 1977 kam die Beförderung zum Direktor der mächtigen "Beogradska Banka". Aus dieser Zeit stammen Milosevics guten Englischkenntnisse und seine viele Kontakte in die USA und nach Westeuropa. Er heiratete die Soziologin Mirjana Markovic. Tochter Marija und Sohn Marko wurden geboren, die Familie zog in ein geräumiges Apartment in der Belgrader Neustadt. Milosevic hatte Karriere gemacht und hätte zufrieden sein können.

Doch mit dem Tod des Präsidenten Josip Broz "Tito" 1980 änderte sich die Lage in Jugoslawien drastisch. In den Jahrzehnten zuvor waren die staatlichen Investitionen in die Wirtschaft immer weiter erhöht worden, ohne jedoch zu den erhofften Gewinnen zu führen. Das rächte sich nun: Ohne Tito als Garanten für politische Stabilität blieben die Auslandskredite aus. Erstmalig seit den fünfziger Jahren geriet die jugoslawische Wirtschaft in eine für alle Bürger spürbare Krise.

Für die jugoslawischen Kommunisten mußte bedrohlich wirken, daß besonders die mittlerweile gut ausgebildete und selbstbewußte städtische Bevölkerung die Krise zum Anlaß nahm, nach Wirtschaftreformen und Demokratie zu verlangen. Um die Situation in den Griff zu bekommen holte Stambulic, mittlerweile Chef der Kommunisten Serbiens, den Wirtschaftsmann Milosevic in die Politik. 1984 wurde er Erster Sekretär der Kommunisten in Belgrad, wo er sich einen Ruf als guter Organisator machte. Parteichef Stambulic begann, ihm blind zu vertrauen.

Als im Frühjahr 1987 aus dem Kosovo Unruhen gemeldet wurden, schickte er Milosevic in die südserbische Provinz. Ein sensibler Auftrag: Im Kosovo leben Menschen fast aller auf dem Balkan vertretenen Nationalitäten. Zudem ist die Provinz der wirtschaftlich am wenigsten entwickelte Teil Serbiens. Dementsprechend wirkte die Wirtschaftskrise dort auch stärker als anderswo. Seit Jahren wanderten jährlich Tausende von Menschen aus dem Kosovo aus - vor allem Serben, die ins reichere Landesinnere umzogen. Die Albaner dagegen, die kein Mutterland zum Auswandern hatten, blieben notgedrungen im Kosovo. Nationalistische serbische Kreise in Pristina und Belgrad schlossen daraus, die Abwanderung ihrer Landsleute und die hohen Geburtenraten der Albaner seien Teil einer gezielten albanischen Strategie zur Vertreibung der Serben.

All das war Milosevic bekannt. Doch statt die Situation zu beruhigen, wie es Parteichef Stambulic von ihm erwartet hatte, stellte sich Milosevic auf die Seite der Serben. Gleichzeitg begannen einflußreiche Belgrader Medien über angebliche Greueltaten der Kosovo-Albaner zu berichten.

Milosevic hatte seit 1984 seine Hausmacht in Belgrad diskret, aber gut auf eine solche Situation vorbereitet. Von Stambulic unbemerkt hatte er führende Positionen im Belgrader Rundfunk und bei Politika Ekspres, dem größten Boulevardblatt des Landes, mit ihm ergebenen Leuten besetzt. Diese heizten die Situation nun an, so daß er nach seiner Rückkehr nach Belgrad Stambulic und der alten titoistischen Garde der kommunistischen Partei Versagen ob des angeblichen schleichenden Genozids am serbischen Volk vorwerfen konnte. In einer Sitzung des Politbüros putschte Milosevic seinen bisherigen Mentor vom Sessel und ließ sich selbst zum Parteichef wählen. In den nächsten zwei Jahren war Milosevic damit beschäftigt, ganz Serbien unter seine Kontrolle zu bringen. Unter der populistischen Parole von der "antibürokratischen Revolution" - der Hochhausbewohner Milosevic gegen die "roten Bonzen" in ihren Villen - setzte er zuerst die Parteiführung in der autonomen Provinz Wojwodina ab, dann war die mehrheitlich albanische KP des Kosovo dran.

Anfang 1989 hatte Milosevic die Lage in Serbien unter Kontrolle. Seine immer offener zur Schau getragenen Nationalismus garaniterte ihm die Unterstützung breiter Massen der Landbevölkerung. Das nächste Ziel war klar: Die Kontrolle über die gesamte jugoslawische Föderation. Der Rest ist die blutige Geschichte der Kriege auf dem Balkan seit 1991 - die Milosevic allesamt verlor. Zwar gelang es ihm, Titos altes Jugoslawien zu zerschlagen, aber von den einstmals über zehn Prozent Serben in Kroatien leben heute keine drei mehr dort; der serbische Teil Bosniens ist ein politisch-ökonomisches Tollhaus, in dem keine 40 Prozent der bosnischen Serben leben wollen; und die von Milosevic gegründete BundesRepublik Jugoslawien ist ein verarmter Staat voller Flüchtlinge, der im Krieg mit der ganzen Welt steht.

Und wo steht Milosevic? Schon Kilometer vor der Ausfahrt nach Pozarevac an der Autobahn von Belgrad nach Nis weisen riesige Reklameschilder auf das "Madonna" hin. Die "größte Diskothek des Balkan" in einer Kleinstadt im Süden Serbiens? Klar, denn der millionenteure Amüsierpalast, in dem sich regelmäßig Unterweltgrößen wie der weltweit gesuchte Kriegsverbecher Zeljko Raznajtovic "Arkan" ein Stelldichein geben, gehört Marko, dem 24jährigen Sohn des jugolawischen Präsidenten. Das "Madonna" ist eines der wenigen sichtbaren Objekte, an denen sich der heutige Wohlstand der Familie Milosevic offen zeigt. Zwar wird gemunkelt, der Präsident und seine Frau hätten Geheimkonten auf Zypern, Genaueres ist nicht bekannt.

Ihre Wohnung in Novi Belgrad haben die Milosevics vor Zeiten geräumt. Heute leben sie im "Weißen Hof", der ehemalige Residenz Titos. Die Familie hat es zu etwas gebracht: Vater Slobodan herrscht in Serbien wie weiland Çeausescu in Rumänien, Frau Mirjana hat ihre eigene kleine kommunistische Partei, Tochter Marija ist Chefin einer Radiostation, und Marko ist Besitzer der größten Disko auf dem Balkan.

Serbien bleibt derweil fest in den Händen einer Politmafia, die Milosevic sich zur Sicherung seiner Macht aufgebaut hat. Seine Familie, sein Umfeld und er selbst bereichern sich schamlos am Eigentum ihrer Bürger und Ex-Bürger aus allen Teilen des früheren Jugoslawien. Doch eine Opposition dagegen ist nicht in Sicht. Daran ändern auch die Bomben der Nato nichts.