"Wir hätten Slobodan Milosevic früher stürzen können", sagt Borislava Kruska, Bürgermeisterin der Stadt Pancevo. "Die Bomben der Nato haben seine Herrschaft nur unnötig verlängert - und Pancevo eine soziale und ökologische Katastrophe beschert."
Über zwanzig Mal war die Stadt, die nur zwölf Kilometer von Belgrad entfernt in der Provinz Vojvodina liegt, zur Zeit des Kosovo-Krieges nächtliches Ziel von Nato-Fliegern. Die Bomben, die den serbischen Präsidenten im Frühjahr 1999 in die Knie zwingen sollten, richteten nicht nur wirtschaftlich erheblichen Schaden an Die Freisetzung großer Mengen giftiger Chemikalien durch die Zerstörung von Fabriken bereitet den Bewohnern Pancevos noch heute gesundheitliche Probleme.
Viele klagen über Schwindelgefühle und Kopfschmerzen. Bauern kommen mit Hautausschlägen und entzündeten Wunden an den Händen vom Feld. Bei Menschen, die Fische aus der Tamis gegessen hatten, die südlich der Stadt in die Donau mündet, wurden Schmerzzustände, Krämpfe, Brechreiz und Durchfall beobachtet. Auch die Zahl der Missbildungen bei Neugeborenen soll nach Angaben von Krankenhausärzten überdurchschnittlich gestiegen sein.
Den Nato-Planern war durchaus bekannt, welche Anlagen ihre Bomben in Pancevo und Umgebung treffen würden. Nur eine der vier großen Fabriken dort ist ein rein jugoslawisches Unternehmen: "Lola Utva", die Kleinflugzeuge fertigt.
Die Kunstdüngerfabrik "HIP - Azotara" im Kreis Pancevo dagegen wurde als Jointventure mit US-amerikanischer, spanischer und niederländischer Beteiligung gegründet. Das petrochemische Kombinat "HIP Petrohemija" haben jugoslawische, deutsche und US-Firmen gebaut, die Raffinerie "NIS" Franzosen und Amerikaner.
Dennoch wurden während des Kosovo-Krieges alle vier Firmen im Kreis Pancevo bombardiert. "Bei der Zielbestimmung kalkulieren wir alle möglichen Kollateralschäden mit ein", zitiert in einer Veröffentlichung das Internationale Grüne Kreuz einen Nato-Sprecher. "Sowohl Umweltschäden, menschliche Verluste oder die Zerstörung der zivilen Infrastruktur. Pancevo sahen wir als sehr, sehr wichtige Raffinerie und damit als strategisches Ziel an. Genauso wichtig wie taktische Ziele im Kosovo."
Das Milosevic-Regime hatte Pancevo als eine von vier Regionen eingestuft, die am schwersten von den Nato-Bomben betroffen waren. Exaktere Informationen gibt es bis heute nicht, die alte Regierung hatte Untersuchungen systematisch verhindert. Verlässliche Daten zum Zustand der Umwelt in der Vojvodina gibt es daher auch unter der neuen Regierung bisher nur aus den Nachbarländern.
Im letzten Jahr registrierte das rumänische Ministerium für Wasser, Wälder und Umwelt nach wie vor hohe Konzentrationen von giftige Schwermetallen wie Kupfer, Kadmium, Blei und Chrom im Wasser der Donau. Die erreichten Werte waren 55-mal höher als erlaubt.
In Bulgarien wird seit dem Kosovo-Krieg immer wieder eine ölschlammähnliche Masse auf dem Wasser der Donau gesichtet. Der Fluss ist die wichtigste Wasserquelle für zehn Millionen Menschen in Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine.
In Pancevo weiß jeder, dass hier seit Jahren weit mehr Kinder mit Missbildungen zur Welt kommen als anderswo in Serbien. Auch dass seit den Nato-Angriffen die Zahl der Lungenerkrankungen zugenommen hat, ist kein Geheimnis. Krank sind die Menschen in Pancevo aber nicht erst seit der Bombardierung der Fabriken in ihrer Stadt. "Die chemische Industrie hat die Leute hier schon immer krank gemacht", weiß Nenad Zivkovic. Der 38-jährige Journalist bemüht sich seit den Achtzigerjahren um Aufklärung über die ökologischen Folgen der Industrialisierung seiner Heimatstadt.
"Daten über die Verschmutzung durch die Fabriken wurden nie veröffentlicht", erzählt Zivkovic. "Das lag an der Art, in der im Sozialismus gedacht wurde: Die jugoslawische Öffentlichkeit durfte nie mit Informationen versorgt werden, die sie beunruhigt hätten." Zivkovic gehörte in den Achtzigern zu einer Gruppe von Leuten, die über eine ökologische Alternative für Pancevo nachdachten. "Wir wollten eine grüne Partei gründen", erzählt er. Aber dann sei der Krieg gekommen und mit ihm der Nationalismus. Für Umweltprobleme hatte da keiner mehr Zeit.
"Die Kommunisten wollten, dass diese Stadt von der chemischen Industrie lebt, aber eigentlich sterben wir an ihr", sagt Borislava Kruska, die seit Oktober letzten Jahres Bürgermeisterin von Pancevo ist. "Wir haben hier hervorragende Böden, eine alte Handwerkstradition und seit 250 Jahren eine Brauerei", so die 55-Jährige, die der Partei des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica angehört weiter. "Trotzdem beherrscht seit den Fünfzigerjahren die Chemie unser Leben. Das ist das Grundproblem in Pancevo."
Pancevo steckt im Teufelskreis der ökologischen und ökonomischen Krise. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Bis zu den Nato-Luftangriffen beschäftigten die vier Fabriken zusammen mit dem Donauhafen rund 10.000 Menschen. 10.000 weitere arbeiteten in Klein- und Kleinstbetrieben den vier großen Kombinaten zu. Heute haben die Fabriken von Pancevo insgesamt 3.000 Angestellte. Ihr Lohn liegt bei 80 Mark. Das ist serbischer Durchschnitt. 17.000 der 130.000 Einwohner im Großraum Pancevo sind arbeitslos.
Gelder für die Umwelt sind unter diesen Umständen kaum zu bekommen. Borislava Kruska weiß, wie wenig sie daran ändern kann. Die meisten Einnahmen aus Chemoindustrie, Handel und Landwirtschaft blieben bei der serbischen Regierung. Über einen Finanzausgleich zwischen der Zentrale und den Kommunen erhält Pancevo nur 7 Prozent seiner Einnahmen zurück.
Von der neuen demokratischen Regierung in Belgrad erwartet Bürgermeisterin Kruska angesichts dieser Situation eine Neuregelung des Finanzausgleichs. "Ein größerer Teil des Geldes, das in Pancevo erwirtschaftet wird, muss in der Stadt bleiben." Aber ihr ist klar: Nach 15 Jahren Misswirtschaft habe die neue Regierung in Belgrad nicht die Mittel, um die Umweltprobleme Pancevos auch nur ansatzweise zu erfassen.
Deshalb fordert Borislava Kruska mehr westliche Hilfe für ihre Stadt. "Die Krise, in der wir stecken, hat mehrere Ursachen. Einmal war da die Politik des Milosevic-Regimes. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Folgen der Sanktionen und die Zerstörungen, die die Nato angerichtet hat. Aus dieser Situation kommen wir allein nicht heraus. Ich erwarte daher eine gemeinsame Anstrengung der Staatengemeinschaft."