Frankfurt, München, Köln - in den meisten größeren Städten Westdeutschlands gibt es mehr Exjugoslawen als in Berlin. Doch obwohl nur ca. 30.000 Inhaber bosnischer, kroatischer, kosovarischer, mazedonischer, montenegrinischer, serbischer und slowenischer Pässe und vielleicht nochmal dieselbe Anzahl Eingebürgerte in der Stadt leben: Die Exjugos sind erstaunlich gut sichtbar.
In jedem Westbezirk gibt es Restaurants namens "Dalmacija", "Split" oder "Zadar", die 24 Jahre nach dem Ende des gemeinsamen Staats aller Jugos noch immer ältere Westberliner besuchen, die Jugoslawien aus der Zeit vor Kriegsbeginn 1991 kennen. Hinzu kommen die Kulturvereine, Kirchen- und Moscheegemeinden der Gastarbeiter, die seit den 1960ern eingewandert sind, Kunstgalerien wie das "Prima-Center" in Wedding oder das "Rroma Aether Klub Theater" in Neukölln. Und Filmveranstaltungen wie die "Serbinale" oder das "Kroatischen Filmtage", die von hochqualifizierten Migranten organisiert werden, die in den vergangenen 20 Jahren an die Spree gezogen sind.
Auch was die Musikproduktion angeht, ist Jugoslawien im dritten Jahrzehnt nach seinem Verscheiden eine ziemlich lebendige Leiche. Von Klassik und Folk über Schlager, Chanson und Jazz bis hin zu Rock and Roll, Blues-, Hard- und Heavyrock, Ska, Reggae, Punk, Hip Hop, Dub und Elektro - jeder relevante Stil wird gespielt. Und jeder Exjugo-Musiker, der zu Hause zu Bekanntheit gelangt, besucht spätestens bei der zweiten Tournee durch die "Diaspora" genannten exjugoslawischen Communities in Europa auch die deutsche Hauptstadt.
Ein Grund dafür ist, dass es in Berlin seit den 1990ern einige exjugoslawische Musikschaffende gibt, die auch überregional bekannt sind, etwa die Macher der Soundsystems "Balkan Beats", "Balkantronica" oder die DJane "Jugotonka". Sie haben sich hier im Laufe der Jahre ein Stammpublikum aus Einheimischen, Zuwanderern und Touristen erspielt, das sich auch für andere Balkan-Acts interessiert. Es gibt also ein Publikum für Exjugo-Musiker - egal, ob die wie die besagten Plattenreiter seit Jahrzehnten in der Stadt leben, regelmäßig hier spielen wie "Kultur Shock" aus Seattle, Deutschlands einzige Jugorockband, "Trovaci" (Vergifter) aus Düsseldorf/Köln oder direkt vom Balkan kommen. Wie Dubioza Kolektiv.
Die Reggae-, Dub und Rockband aus Sarajevo, deren sieben Mitglieder auf der Bühne abgehen wir die sprichwörtliche Schmidts Katze, hat sich seit ihrer Gründung 2003 zu einem der wichtigsten Acts Exjugoslawiens entwickelt. Dabei ist Duboiza immer politischer geworden: In ihren Texten kritisiert die Band radikal die katastrophale soziale Lage, die in ihrer Heimat im Jahr 19 nach Kriegsende herrscht, und fordern ein Ende der Isolation Bosniens durch eine Aufnahme in die Europäische Union.
Vor vier Jahren versuchten Dubioza Kolektiv erfolglos, diese Botschaft auf dem Eurovision Song Contest ESC unterzubringen. In ihrem "Eurosong" singen sie: "Wir wollen Europäer sein, und das nicht nur beim ESC." Wie das klingt, kann man sich im Internet anhören: Die Band ist nicht nur mit Zig Aufnahmen bei YouTube vertreten, sondern hat inzwischen auch acht Alben herausgebracht, die auf dubioza.org kostenlos zum Download angeboten werden.
Beim Anhören fällt auf, dass die Bosnier, die ursprünglich klar in der Tradition des "Jugorock" verankert waren und Folk grundsätzlich als "seljacki" (dörflich) ablehnten, seit einigen Jahren immer balkanischer klingen. Folgt Dubioza damit dem Wunsch der Westler nach mehr Humpa-humpa? Oder sind sie auf dem Weg zu ihren balkanischen Roots?
Den umgedrehten Weg geht die serbische Band S.A.R.S., was nicht etwa "Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom" heißt, sondern "Sveze amputirana ruka Satrianija" - der frisch amputierte Arm des (US-Gitarristen Joe) Satriani. Auch die sieben Belgrader besingen in ihren Texten die unhaltbaren sozialen Zustände in Nachkriegsjugoslawien, bewarben sich erfolglos für den ESC und bieten ihre Alben kostenlos auf ihrer Hompage sarsbend.com zum Download an.
Grund dafür ist - wie auch bei Dubioza Kolektiv - nicht nur ihre antikapitalistische Haltung. Der Verkauf von Tonträgern lohnt sich aufgrund der in Exjugoslawien extrem verbreiteten Raubkopien für Musiker kaum. Das ist einerseits negativ, denn wozu sollten Bands in Aufnahmen investieren, mit denen sie quasi nichts verdienen können? Und andererseits positiv, denn die Musiker arbeiten viel an ihrer Performance und geben bei ihren Auftritten alles - wovon sich das Berliner Publikum diese Woche am besten gleich zweimal selbst überzeugen sollte.
Dubioza Kolektiv: Bi Nuu, U-Bahnhof Schlesisches Tor, 15. 4., 20 Uhr, 15/ 18 € | S.A.R.S., 17. April, ebenda, 20 Uhr, 16 €