Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Bosnier zum zweiten Mal vertrieben

In Zentralbosnien sind 500 muslimische Flüchtlinge, die in ihr Dorf zurückkehren wollten, von Kroaten gewaltsam vertrieben und ihre Häuser angezündet worden. Der EU-Koordinator für Bosnien schreibt eine Protestnote | Von Rüdiger Rossig

Die UNO hat kroatische Behörden für die Vertreibung von muslimischen Flüchtlingen aus der von Kroaten kontrollierten zentralbosnischen Stadt Jajce verantwortlich gemacht. "Die kroatische Polizei hat absolut nichts für die Sicherheit der Muslime getan", sagte UN-Sprecher Alex Ivanko gestern in Sarajevo. Nach seinen Angaben sind in den vergangenen zwei Tagen 500 heimkehrende Muslime von Hunderten Kroaten vertrieben worden. Ein Muslim wurde dabei getötet. Mindestens zehn Häuser seien in Flammen aufgegangen.

Der Chefkoordinator der Friedenshilfe für Bosnien, Carlos Westendorp, forderte die Führung der muslimisch-kroatischen Föderation schriftlich auf, dafür zu sorgen, daß die muslimischen Flüchtlinge heute wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Die an den Ausschreitungen Beteiligten sollten unverzüglich bestraft werden. Die UN-Polizei soll in einer Woche einen Bericht vorlegen. "Mit Entsetzen haben wir von den Demonstrationen gegen die Rückkehr von Flüchtlingen nach Jajce und vom Abbrennen von Häusern gehört. Es gibt Hinweise, daß an den Ausschreitungen auch die (lokale kroatische, Anm. d. Red.) Polizei beteiligt war", so Westendorp.

Konkrete Sanktionen wurden nicht angedroht. Auch wird die kroatische Verantwortung für den Vorfall verwischt. So richtet sich das Schreiben Westendorps nicht nur an den kroatischen Präsidenten der Föderation, Vladimir Soljic, sondern auch an den muslimischen Vizepräsidenten Ejup Ganic. Außerdem ist in dem Brief zwar von "Polizei" und "lokalen Behörden" die Rede, das Wort "kroatisch" wird jedoch diplomatisch verschwiegen.

Jajce galt bisher als Modell für eine Kommune, in die Flüchtlinge zurückkehren, die zu einer ethnischen Minderheit gehören - bis zum vergangenen Wochenende. Die jetzt vertriebenen Muslime waren vor zwei Wochen aus Zenica in ihre früheren Heimatorte zurückgekehrt. Der Widerstand der Kroaten gegen ihre Heimkehr hatte vergangenen Freitag begonnen. Nach Angaben von Beobachtern der UN- Polizei hatten rund 200 Kroaten die Straße von Sarajevo nach Jajce gesperrt.

Zwar wurde diese erste Straßensperre im Laufe des Nachmittags von SFOR- Friedenstruppen aufgelöst, aber zu diesem Zeitpunkt standen bereits vier verlassene muslimische Häuser in Flammen. Am Samstag fanden internationale Beobachter zwei neue Straßensperren. Obwohl die UN-Polizeimonitore gemäß ihrem Mandat sofort die lokale bosnisch-kroatische Polizei informierten, schritt diese nicht ein. Nach Angaben der SFOR entfernten Nato-Soldaten eine der beiden neuen Sperren am Samstag nachmittag. Doch da war es schon zu spät: Unter dem Eindruck der Ereignisse verließen 370 Muslime insgesamt sieben Dörfer, an deren Wiederaufbau sie bis dahin gearbeitet hatten, in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Marodierende Banden von Hunderten, teilweise betrunkenen Kroaten protestierten weiter bis Sonntag abend - und brannten unzählige der im Bau befindlichen muslimischen Häuser nieder.

UN-Sprecher Ivanko forderte lokale Zeugen auf, sich zu melden. Absolute Anonymität von Aussagewilligen werde garantiert, hieß es im UN-Hauptquartier in Sarajevo. Die nun zum zweiten Mal vertriebenen Muslime kündigten gestern über Radio Bosnien-Herzegowina an, sie wollten im Laufe der Woche trotz der Ereignisse einen weiteren Versuch unternehmen, nach Jajce zurückzukehren.

Unterdessen haben nach Deutschland auch Frankreich, Schweden und Großbritannien die offiziellen Kontakte zu den Botschaftern Bosniens eingefroren. Die drei Staaten folgten damit einer Empfehlung Westendorps vom Wochenende, nachdem sich das dreiköpfige bosnische Staatspräsidium nicht auf einen gemeinsamen dipolmatischen Dienst geeinigt hatte. Hintergrund ist ein kroatisch-muslimischer Streit um die Vergabe der insgesamt 33 Botschafterposten.

Außerdem steht die Regelung der Staatsbürgerschaft sowie der Pässe und die Eröffnung von Flughäfen noch aus. Dabei geht es unter anderem um die serbischen Flüchtlinge aus der kroatischen Krajina. Nach Ansicht der Regierung in Sarajevo sollen sie gemäß dem Dayton-Abkommen in ihre Heimat zurückkehren, während die bosnischen Serben sie einbürgern wollen. Kroatiens Präsident Franjo Tudjman hatte kürzlich der Rückkehr der Krajina-Flüchtlinge zugestimmt. Verhandlungen über die Wiedereröffnung von drei Flughäfen blieben die serbischen Vertreter fern. Nun hat Westendorp weitere Strafmaßnahmen angedroht, falls es zu keinem Kompromiß in diesen Punkten kommt. Gegen die Verantwortlichen?